Goldschätzchen, stell Dir doch einmal vor, der Krieg sei aus

Feldpost - Briefe des Soldaten Lothar Gruber
1942-1944

Eine Auswahl in Auszügen
Zweiter Jahrgang
August 1943

126.
Deba, 6.8.43
... Meine über alles geliebte H..., wie ich hier von einem Kameraden erfuhr, gibt es für ein Brautkleid einen Bezugsschein. Gehe bitte doch mal hin und schaue, dass auch Du einen bekommst. ...

(OHNE NUMMER)
Deba, 11.8.43
... Ach meine über alles geliebte H..., es fällt mir ja heute so unsagbar schwer Dir diesen Brief zu schreiben, aber ich kann einfach nicht anders. So will ich Dir nun in der Hoffnung, dass Du mir auch weiterhin Dein volles Vertrauen schenkst u. fest an mich u. an meine ewige Liebe u. Treue zu Dir glaubst alles ehrlich berichten. Mein liebstes Schätzchen, nimm Dich bitte zusammen u. verliere nicht den Kopf, denn es ist sehr schwer. Du musst sehr stark sein, dass Du nicht an mir zweifelst u. dass Du nicht den Glauben an mich verlierst. Du kannst Dir ja gar nicht vorstellen, wie schwer es für mich ist, Dir diesen Brief zu schreiben. Aber einmal musst Du es ja doch erfahren u. dann sollst Du es zuerst von mir hören. Wie sollst Du denn zu mir noch Vertrauen haben, wenn ich das nicht zuerst zu Dir habe.
Mein über alles geliebtes Schätzchen, die ganzen Zerwürfnisse zu Hause und auch dein lieber Brief, den Du mir aus Zuffenhausen geschrieben hast, haben mich sehr mitgenommen. Du darfst mir ehrlich glauben, dass ich Dir zu liebe doch alles mache u. das letzte für Dich opfere. Aber nun wusste ich tatsächlich nicht mehr, was ich tun sollte. Ach mein geliebtes Schätzchen, was musst Du doch bei meinen Eltern erleben, als Du jetzt dort warst? Und nun muss mir noch so etwas passieren.
Also weisst Du mein liebstes Goldschätzchen, am Samstag hatte ich einen solch moralischen Katzenjammer, dass ich nicht mehr wusste, was ich machen sollte. Ich hatte so ein Bedürfnis, all das zu vergessen, denn ich wollte es nur Dir recht machen. Nun hatten wir gerade Schnaps bekommen u. da sagte ich mir, nun trinkst mal ein paar, dann kommst Du auf andere Gedanken. Dies gelang dann auch nur zu gut. Als mich ein paar Kameraden eingeladen hatten, ging ich noch in die Kantine u. dort tranken wir noch etliche Bier, das hier viel stärker ist als bei uns. Leider war das zu viel und ich hatte zum Schluss einen netten Rausch. Dies ist nun leider mein Verhängnis geworden. Als ich heimkam brannte kein Licht. Dann ging mein Schrank nicht auf, was mich in meinem Rausch stark reizte. Ich schlug nun einfach die Tür kaputt u. dabei kamen ein paar Feldwebel, die auch angetrunken waren u. die mich mitschleifen wollten. Das liess ich mir aber nicht gefallen u. ich habe mich gewehrt. Dabei habe ich nun 2 Feldwebel verprügelt, bis sie mich in Ruhe liessen. Dies hat leider nicht lange gedauert. Ich war nun ganz ruhig u. habe mich ausgezogen. Da musste ich noch austreten. Als ich zur Türe raus kam, wurde ich plötzlich von beiden Seiten gepackt. Ich wusste erst gar nicht was los war u. habe in meiner Wut gleich zugeschlagen. Die Feldwebel waren nun aber zu 3. ge­gen mich u. so gabs eine Schlägerei. Ich bekam plötzlich ein paar über den Kopf, dass ich ganz benommen wurde. Das war nun das schlimmste. Erst der Rausch u. dann die Schläge auf den Kopf, das muss mich verrückt gemacht haben. Ich weiss noch, dass ich dann durchging u. in meine Stube flüchtete. hinter mir war Geschrei u. sie gingen mir nach. Nun wusste ich nicht mehr, was ich tat, denn plötzlich hat es geknallt, ich hatte meine Pistole in der Hand u. hatte geschossen. Zu meinem Unglück habe ich auch getroffen. Nun haben sie mich festgenommen und ich bin seit Sonntag Nacht in Untersuchungshaft und werde nun eine Gefängnisstrafe be­kommen. Ach mein geliebtes Schätzchen, Du kannst Dir ja gar nicht vorstellen, wie sehr ich darunter leide. Sie können ja mit mir machen was sie wollen, das ist mir so egal, aber eines macht mich wahnsinnig. Was wirst Du nun von mir sagen u. von mir halten? Ach mein einzig u. ewig treu geliebtes Goldschätzchen, wenn ich das doch wüsste! Es würde mir so viel Halt u. Kraft geben, wenn ich wüsste, dass Du mich nicht verstösst und verurteilst u. dass Du nicht den Glauben u. das Vertrauen zu mir verlierst. Mein einzig über alles geliebtes Schätzchen, ich bitte Dich aus tiefstem Herzen, lasse mich jetzt bitte nicht allein. Du bist ja das einzige auf der Welt, an dem ich mit meinem ganzen Herzen u. mit meiner ganzen Seele hänge. wenn Du jetzt von mir gehst, dann will ich lieber heute wie morgen Sterben, denn das wäre dasselbe wie lebenslängliches Zuchthaus. Mein herzallerliebstes Schätzchen, kannst Du mir das antun? Ich weiss es ist sehr schwer für Dich, auch weiterhin an mich zu glauben. Aber ich bitte Dich, zerstöre nicht mein ganzes Leben, sondern bleibe bei mir. Ich werde Dir dafür ewig aus aller tiefstem Herzen dankbar sein. Lass dies schreckliche Ereigniss als einen Prüfstein unserer Liebe gelten. Vielleicht war es Gottes Wille, dass unsere Liebe u. Treue so schwer geprüft wird. Ach wenn dies doch nie geschehen wäre. Ich schwöre Dir, mein liebstes Schätzchen, dass ich nie wieder Alkohol trinken werde. Lieber will ich verdursten. ...
Du sollst es niemals bereuen, wenn Du jetzt stark bist im Vertrauen, im Glau­ben u. in der Liebe zu mir. Sei bitte so lieb u. so gut u. schreibe mir darüber recht recht bald, dass ich wenigstens wieder ein klein wenig Ruhe finde. ...
Gott sei mir gnädig u. helfe Dir, dass Dein Herz mich nicht verstösst! ...

(OHNE NUMMER)
Deba, 14.8.1943
Meine herzallerliebste H...!
Ich danke Dir von ganzem Herzen für deinen allerliebsten Brief vom 7.8., den ich heute erhielt. ach mein über alles geliebtes Goldschätzle, ich habe mich ja so darüber gefreut. Ich muss Dir hier ja ganz heimlich schreiben, denn das ist mir ver­boten. Aber ich kann Dich doch nicht so lange warten lassen. Weist Du mein her­zensgutes allerliebstes Schätzchen, wenn ich Deinen so freudigen Brief lese u. ich denke daran, was Du vielleicht gerade jetzt für eine schreckliche Nachricht be­kommst, dann könnte ich verzweifeln. Nun hast Du alles schon so schön für unse­re Hochzeit vorbereitet und nun soll nichts daraus werden. Ich kann es noch gar nicht glauben. Ach mein geliebtes Schätzle, Du kannst Dir ja gar nicht vorstellen, wie es mir zu Mute ist. Mein Chef hat mir ja ein klein wenig Hoffnung gemacht, dass meine Strafe nicht so hoch ausfällt. ... Ich habe in den letzten Tagen viel über die Religion nachgedacht u. kann Dir nur das eine sagen, ich werde doch katho­lisch. ... Wenn es einem Menschen so geht wie mir, dann sucht er seinen ersten Trost bei Gott. Mein über alles geliebtes Schätzchen, ich habe dabei sehr viel Trost gefunden, aber nach der kath. Religion. Ja mein Liebling, ich bete jeden Tag die Ge­bete, die Du mich gelehrt hast. Und ich schliesse immer noch eins oder zwei von mir an. ...

131.
Deba, 17.8.1943
Mein geliebtes Schätzchen!
Nun bin ich wenigstens so weit gekommen, dass ich hier schreiben darf. Ach mein über alles geliebtes Goldschätzchen, heute ist es mal wieder etwas leichter. Ich war heute bei meinem Oberleutnant und habe mit ihm noch mal gesprochen. Es ist ein sehr anständiger Mensch und er hat mich verstanden u. unterstützt mich so gut wie möglich. Er hat mich etwas getröstet, denn er sagte, dass es bei den gu­ten Beurteilungen die ich habe, mit der Bestrafung nicht allzu schlimm wird. Vor allem aber geht es meinem Kameraden schon bedeutend besser, was ja die Hauptsache ist. Mein geliebtes Schätzchen, nun weiss ich nicht, ob Du meinen Brief vom 11.8. erhalten hast, denn dieser wurde zurückgehalten. Ich hoffe, dass er dich inzwischen erreicht hat.
Nun mein herzallerliebstes Goldschätzchen, wie mir mein Chef sagte, bekomme ich vielleicht doch noch Heiratsurlaub. Sie wollten ja nicht, aber da habe ich eine kleine Notlüge? gebraucht. Da es ganz unbestimmt wäre, wann ich wieder Urlaub bekomme, habe ich ein Gesuch eingereicht. Der Chef hat mich darauf hingewie­sen, ich soll als Grund angeben, Du seist in anderen Umständen. Dies habe ich dann auch gemacht u. ich hoffe, dass es klappt.
Mein geliebtes Schätzchen, sei mir deshalb bitte nicht böse. Ich tat es ja nur, um Dich nochmals zu sehen, bevor ich wieder an die Front fahre u. Deine ganzen Vorbereitungen sollen doch auch nicht umsonst gewesen sein. ...
Mein liebes Schätzchen, wundere Dich bitte nicht, wenn ich in den nächsten Briefen ein bisschen anders schreibe, denn sie werden von meinem Chef geprüft und gelesen. ...

134.
Deba, 20.8.43
... Ja nun habe ich also alle Papiere beisammen, u. nun brauche ich dann nur noch Urlaub. Ach mein herzallerliebstes Goldschätzchen, ich freue mich ja schon sehr auf diesen Tag. Wenn es doch nur schon so weit wäre. Ich kann es ja kaum erwar­ten, bis ich endlich bei Dir sein darf. Mein goldiger süsser Liebling, ich danke Dir auch von ganzem Herzen für Deine netten Bilder. Sie gefallen mir prima u. Du hast mir damit eine sehr grosse Freude gemacht. Wie ich sehe, steht Dir die Uniform ta­dellos. Meinst Du wir sollten nach einer sehen, dann kann ich Dich mitnehmen? Na das wollen wir mal lieber bleiben lassen, denn da drausen ist es mir doch etwas zu gefährlich für Dich. Weisst, da ist die Luft stark Eisenhaltig u. das könnte Dir un­ter Umständen nicht gerade gut bekommen. Na vielleicht nimmt der Krieg auch bald ein Ende, dann können wir endlich für immer beisammen sein. Man müsste halt wissen, wann das der Fall ist, ich glaube dann würde jeder alles versuchen, dass er noch bälder zu Ende geht. ...
Wenn ich jetzt dann meinen Urlaub bekomme, dann reicht es sowieso kaum, dass ich mich noch vor der Hochzeit taufen lasse. Denn erstens ist ja Zeit sehr sehr knapp u. zweitens bekam ich meine Austrittserklärung vom Standesamt zurück mit einer weiteren Erklärung die mein Bataillons-Kommandeur unterschreiben muss. Ich wollte dies nun hier unterschreiben lassen, was aber leider noch nicht erfolgt ist. Vielleicht muss ich das nun erst nach Russland schicken. Nun habe ich mir die Sache so gedacht. Wir lassen uns nun erst mal Kath. trauen u. taufen kann ich mich dann später lassen. Machen werde ich es auf jeden Fall, da kann es gehen wie es will. Ich werde dann auch noch mal mit meinem Vater reden u. Du brauchst keine Angst zu haben, ich werde schon einig mit ihm. Sollte er weiter seinen Standpunkt vertreten, so werde ich halt nachgeben. Er braucht es ja nicht unbedingt zu erfah­ren, wenn ich trotzdem Kath. werde. Nun bin ich schon aus der ev. Kirche ausge­treten u. gehe auch nicht mehr rein. ... Na ich hoffe ja, dass mein Chef in dieser Hinsicht so viel Einsehen hat u. mich fahren lässt. Man kann ja heutzutage nie wis­sen, ob nicht doch etwas dazwischen kommt. Dann kann der Chef noch so einen guten Willen haben u. er kann es halt trotzdem nicht abändern. Man kann erst sa­gen ich habe Urlaub, wenn man zu Hause ist u. dann kann man ja auch dort noch geholt werden. Aber daran wollen wir mal lieber nicht denken, sonst kommen gleich wieder trübe Stunden. ...

140.
Deba, 25,8.43
... wenn ich jetzt um ein Jahr zurückdenke, wie sah es damals blos aus. Da gingen wir gerade vom 24. zum 25. August in unseren bis dahin schwersten Einsatz u. als er vorbei war, dann gabs Urlaub. Ach wer hätte von uns um diese Zeit gedacht, dass wir eine so herrliche Zeit verbringen würden und dass alles so rasch geht.

142.
Deba, 26.8.43
... Mein liebstes Goldschätzchen ich bitte Dich von ganzem Herzen, mach es Dir nicht so schwer u. vergesse es. Es ist alles gar nicht so schlimm. Bitte glaube mir das, es ist bestimmt wahr u. ich will dich damit nicht nur beruhigen. Mein Chef hat ja gleich gesagt, ich soll es Dir gar nicht schreiben, sondern soll es Dir später ein­mal sagen. Das habe ich aber nicht fertig gebracht. Wie könntest Du denn dann noch Vertrauen zu mir haben. Mein liebstes Schätzchen, ich will ja gar nicht über mein Schicksal klagen, denn wer weiss für was es gut gewesen ist. Ich darf Dir das jetzt noch nicht schreiben, was hier passiert ist, aber ich danke Gott, dass ich nicht mit dabei war. Mein herzallerliebstes Schätzchen, ich danke Dir von ganzem Her­zen u. ich werde Dir auch ewig dafür dankbar bleiben, dass Du mir so treu zur Seite stehst. Dies war meine grösste Sorge, dass ich Dich vielleicht verlieren würde. Ach wenn ich Dir doch alles mündlich erklären könnte.
Mein über alles geliebtes herzensgutes Schätzchen, mache Dir nun bitte um diese Sache keine Sorgen mehr. Ich bitte Dich von ganzem Herzen, mache wieder ein fröhliches Gesicht u. sei nicht mehr traurig. Die ganze Geschichte verläuft ja noch gut u. meine Strafe wird nicht so hoch, da die Hauptschuld die anderen trifft. Ich bekam heute von meinem Kameraden Post. Es geht ihm schon wieder sehr gut. Er kann schon wieder spazieren laufen u. wird bald aus dem Lazarett entlassen. Ich bin ja so froh, dass ihm nichts weiter passiert ist u. dass ihm nichts bleibt. Nun kann ich einigermassen beruhigt sein, da ich ja auch deshalb viel Sorge hatte. Es war und ist jetzt erst recht mein Bester Kamerad hier.
Mein liebstes Schätzchen, ich habe noch nie viel Alkohol getrunken u. ich ver­spreche Dir, dass ich ihn nach diesem Vorfall voll ganz meide. Nie wieder werde ich einen Schnaps anregen. ... Schau mal, ich bin doch nicht so veranlagt, dass ich ein Säufer werden könnte. ...
Mein über alles geliebtes Goldschätzchen, ich glaube bestimmt, dass ich trotz allem meinen Urlaub bekomme. Ich werde auf jeden Fall alles daran setzen. Ich kann nicht so zur Front, bevor ich Dich nicht gesprochen habe.